ÜBER
WUNDER
Frage: Es wird von Wundern,
die Christus vollbrachte, berichtet. Sind die Berichte
über diese Wunder wirklich wörtlich zu nehmen
oder haben sie eine andere Bedeutung? Die exakten Wissenschaften
haben bewiesen, daß sich das Wesen der Dinge nicht
ändert und daß alles Erschaffene einem umfassenden
Gesetz und einer Ordnung unterworfen ist, von denen es
nicht abweichen kann; etwas dem universalen Gesetz Widersprechendes
ist daher unmöglich.
Antwort: Die heiligen
Offenbarer sind die Quellen von Wundern und die Urheber
wunderbarer Zeichen. Ihnen ist jede schwierige und unausführbare
Sache möglich und leicht gemacht. Denn durch eine
überirdische Macht gehen Wunder von ihnen aus, und
mit dieser Kraft, die übernatürlich ist, beeinflussen
sie die Welt der Natur. Von allen Offenbarern sind außergewöhnliche
Dinge vollbracht worden.
Aber die heiligen Bücher
haben ihre besondere Ausdrucksweise; und für die
Offenbarer selbst haben diese Wunder und aufsehenerregenden
Zeichen kein großes Gewicht, sie wollen sie nicht
einmal erwähnt haben. Denn wenn wir Wunder als großartigen
Beweis ansehen, so sind sie Zeugnis und Bestätigung
doch nur für Augenzeugen, nicht aber für andere
Menschen.
Wenn wir zum Beispiel
einem Suchenden, dem Moses und Christus fremd sind, wunderbare
Dinge von Diesen erzählen, wird er sie leugnen und
sagen: „Auch von falschen Göttern werden durch
das Zeugnis zahlreicher Menschen laufend erstaunliche
Begebenheiten berichtet und in Büchern bestätigt.
Die Brahmanen haben ein Buch über unerklärliche
Wundertaten Brahmas¹ geschrieben.“ Er mag auch
sagen: „Wie können wir wissen, daß die
Juden und Christen die Wahrheit berichten und die Brahmanen
lügen? Denn beide haben allgemein anerkannte Überlieferungen,
die in Büchern gesammelt sind, und sie mögen
wahr oder falsch sein.“ Dasselbe kann auch von anderen
Religionen gesagt werden: Wenn das eine wahr ist, sind
alle wahr; wenn eines anerkannt wird, müssen alle
anerkannt werden. Deshalb sind Wunder kein Beweis. Wenn
sie auch Beweiskraft für Augenzeugen haben, für
andere Menschen genügen sie als Bestätigung
nicht.
¹ Aus dem Sanskrit,
bedeutet „Weltseele“. Begründer der altindischen
Religion. Brahmanen bilden die oberste Priesterkaste Indiens.
Aber zur Zeit einer Offenbarung
erkennen die Einsichtigen, daß alle Umstände,
die mit dem Offenbarer zusammenhängen, Wunder sind,
weil sie vor allen anderen ausgezeichnet sind, und das
allein ist schon ein unbestreitbares Wunder. Denke daran,
daß Christus, allein und nur auf Sich Selbst gestellt,
ohne Beschützer und Helfer, ohne Truppen und Heer
und unter schwerster Bedrückung das Banner Gottes
vor der ganzen Welt aufrichtete und ausharrte und schließlich
alle überwand, obwohl Er, äußerlich gesehen,
gekreuzigt wurde. Das ist doch ein wahrhaftiges Wunder,
das niemals geleugnet werden kann. Eines weiteren Beweises
für die Wahrheit Christi bedarf es nicht.
Die äußeren
Wunder sind für Menschen, die Sinn für die Wirklichkeit
haben, ohne Gewicht. Wenn zum Beispiel ein Blinder sehend
wird, so wird er schließlich doch wieder blind,
das heißt, er wird sterben und alle seine Sinneskräfte
verlieren. Einen Blinden sehend zu machen, ist darum weniger
wichtig, weil seine körperliche Sehkraft letzten
Endes doch verschwindet. Wenn ein toter Körper lebendig
gemacht wird, was hat das zu bedeuten, wo er doch wieder
vergehen muß? Wesentlich dagegen ist die Verleihung
der inneren Sehkraft und des ewigen Lebens, das heißt
des geistigen und göttlichen Lebens. Denn das körperliche
Leben hat keinen Bestand und ist dem Nichtsein gleich.
So kommt es, daß Christus zu einem Seiner Jünger
sagte: „Laß die Toten ihre Toten begraben“;
denn „was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch;
und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.“¹
¹ Matthäus 8:22
und Johannes 3:6
Beachte, daß Menschen,
die nach außen hin lebten, von Christus Tote genannt
wurden; denn Leben heißt ewiges Leben und Sein ist
wahres Sein. Wenn daher in den heiligen Büchern die
Auferweckung von Toten erwähnt wird, so bedeutet
dies, daß sie ewiges Leben fanden; wenn ein Blinder
sehend wurde, so ist jenes Sehen gemeint, das wirkliche,
innere Einsicht bedeutet; wenn ein Tauber hörend
wurde, so besagt dies, daß er geistiges und himmlisches
Hören erlangte. Dies geht aus dem Text des Evangeliums
hervor, wo Christus sagt: „Sie sind wie diejenigen,
von denen Jesaja sagte, mit sehenden Augen sehen sie nicht,
und mit hörenden Ohren hören sie nicht; und
Ich heilte sie.“¹
¹ Vgl, Matthäus
13:13-15 und Jesaja 6:10
Damit soll nicht gesagt
sein, daß die Offenbarer unfähig sind, Wunder
zu vollbringen; denn sie besitzen alle Macht. Aber für
sie sind inneres Sehen, geistiges Heilen und ewiges Leben
die wertvollen und wichtigen Dinge. Folglich besagen jene
Stellen der heiligen Bücher, die von einem Blinden
berichten, der sehend wurde, daß er innerlich blind
war und daß er geistige Sicht erlangte, oder daß
er unwissend war und weise wurde, oder daß er gleichgültig
war und wach wurde, oder daß er weltlich war und
fromm wurde.
Da
dieses innere Sehen, Hören, Leben und solches Heilen
ewig sind, darum sind sie wesentlich. Was sind, damit
verglichen, das Gewicht, die Bedeutung und der Wert dieses
fleischlichen Lebens mit seinen Kräften? In wenigen
Tagen wird es zu Ende sein wie fliehende Gedanken. Wenn
man zum Beispiel eine erloschene Lampe anzündet,
wird sie letztlich wieder erlöschen, aber das Licht
der Sonne strahlt immerzu; und nur dies ist wichtig.
Das
war ein Auszug aus dem Buch "Beantwortete
Fragen" von Abdu'l-Baha,
welches Sie hier kostenlos
downloaden oder hier
bestellen können.
|